Integration von Seiteneinsteigern ins Thüringer Schulsystem verbessern, Unterrichtsausfall vermeiden 1/2

Torsten Wolf
RedenTorsten Wolf

Zum Antrag der Fraktion der AfD - Drucksache 7/5522

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Haus, natürlich auch liebe Schülerinnen und Schüler und auch die entsprechenden Lehrkräfte, was ich zumindest gehört habe – Frau Präsidentin, wenn ich Sie kurz korrigieren darf –, sind sie nicht vom Gymnasium, sondern von der Regelschule, wenn ich das richtig verstanden habe. Aber das ist auch genau der Ansatz, um den es hier geht. Kollege Tischner hat völlig recht und Kollegin Baum hat es auch schon betont: Wir sind in dieser Frage weit weniger auseinander als in vielen anderen Fragen, weil es hier tatsächlich darum geht: Wie können wir reagieren, um etwas zu korrigieren, was wir ansonsten gar nicht lösen können.

 

Worum geht es? Ein paar Zahlen, denn das macht – denke ich – deutlich, vor welcher Situation das Ministerium, die Schulämter tagtäglich stehen: Im Wintersemester 2021/2022 wurden im ersten Fachsemester folgende – ja – Menschen begrüßt, die sich in das entsprechende Lehramt für Regelschulen oder Gymnasien eingeschrieben haben: 162 für Regelschulen, 1.176 für Gymnasien; für Physik an Regelschulen: 1, für Gymnasien: 34; für Chemie: 2, für Gymnasien: 48; für Mathematik an Regelschulen: 13; für das Gymnasium: 79.

 

Nun ist völlig klar: Wer nicht ausgebildet werden kann, wird später nicht eingestellt. Deswegen brauchen wir dringend Seiteneinsteiger. Kollegin Baum hat völlig zu Recht auf einen zweiten Aspekt hingewiesen, nämlich dass wir mit Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern auch frischen Wind in die Klassenzimmer bekommen, weil andere Kompetenzen kommen, andere Erfahrungen aus einer vorhergehenden Berufszeit. Es kann auch mal sein, dass jemand sagt: Ich will nur für zehn Jahre in der Schule arbeiten. Warum nicht? Auch das sollten wir unbedingt wertschätzen.

 

Wir haben als Koalition aber auch einen etwas anderen Ansatz, das muss ich auch hier noch mal sagen. Wir haben mit unserem Schulgesetz die Änderung des Lehrerbildungsgesetzes verbunden. Aufgrund der Zahlen, wie ich sie gerade vorgetragen habe, sagen wir, dass wir eine schulstufen- und keine schulartenbezogene Lehrerbildung anstreben. Das ist auch mit den Hochschulen abgestimmt. Aber bevor diese ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer tatsächlich in den Schulen ankommen – die sind vom Laufbahnrecht her dann ganz anders einsetzbar –, würden natürlich auch noch mal sieben, acht Jahre vergehen – wenn wir uns hier im Hohen Haus diesbezüglich einigen sollten. Das heißt, wir sind nach wie vor – und das sollten wir, wie gesagt, auch sehr wertschätzen – auf Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger angewiesen.

 

Wenn man sich mit Lehrern unterhält, und zwar egal welcher Schulart, dann kommt natürlich sofort das Argument: Warum musste ich denn so lange studieren? Wird da nicht etwas verschenkt? Stimmt die Qualität? Ja, Kollegin Baum, das wird wirklich so gesagt. Häufig wird nicht mitgedacht und vergessen, dass diejenigen, die sich als Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger bei uns bewerben, in der Regel eine Hochschulausbildung haben, nicht unbedingt immer ein zweites verwendbares Fach, aber in der Regel eine Hochschulausbildung und Berufserfahrung und – und damit beschäftigen sich auch die Anträge, im Übrigen werde ich nachher noch kurz darauf eingehen, auch unser Antrag, der heute nicht mitberaten wird, der aber schon auf Blatt 54 oder so auf der Tagesordnung steht –, eine anspruchsvolle Nachqualifizierung, die sich damit verbindet. Das heißt: Ja, das ist nicht der normale Weg, aber es wird auch nichts verschenkt. Die Schülerinnen und Schüler, die ich spreche, und auch die Lehrerinnen und Lehrer, die mit den Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten, die als Seiteneinsteiger in den Schulen sind, sagen mir: Da können wir auch richtig etwas davon lernen, der Austausch ist anders, die Qualität leidet nicht, auch nicht im Unterricht.

 

Wo stehen wir? Zum Stichtag 01.11.2022 waren knapp 670 Lehrkräfte in der Nachqualifizierung. Befristete Arbeitsverträge werden dann angeboten, wenn für eine Einstellung keine Stelle vorhanden ist, zum Beispiel Schwangerschaftsvertretung, oder wenn Stellenreste zusammengezogen werden, ebenso bei Vertragsabschluss keine Bescheinigung für die Gleichwertigkeit der Ausbildung vorliegt. Wir sind aber nach wie vor nach Artikel 33 Grundgesetz im Ranglistenverfahren, das heißt in der Bestenauslese.

Was wird gemacht? Die Seiteneinsteiger mit Uniabschluss absolvieren einen Intensivkurs, Kollege Tischner hat es eben schon erwähnt, dann die Nachqualifizierung in dem anerkannten Ausbildungsfach bzw. mehreren Fächern, gegebenenfalls kann ein weiteres Ausbildungsfach an der Uni nachstudiert werden. Die Seiteneinsteiger mit passendem Fachhochschulabschluss absolvieren ebenfalls den Intensivkurs, danach einen Weiterbildungskurs im Rahmen der Nachqualifizierung. Die Seiteneinsteiger ohne Fachhochschul- oder Uni-Abschluss absolvieren einen Intensivkurs und studieren dann berufsbegleitend an der Uni. Soweit ist es vorgesehen.

 

Wir haben uns mit dieser Thematik aufgrund von Selbstbefassungsanträgen auch schon mehrfach im Bildungsausschuss befasst und es ist klargeworden, dass die Thematik so unterschiedlich ist – ich will es jetzt mal so grob fassen – wie diejenigen, die sich bei uns bewerben. Ich will es gleich dazusagen: Ich sehe es etwas kritisch – ich bin da bei Kollege Tischner, es ist ein Antrag, den wir sehr gern in den beiden Ausschüssen diskutieren können –, ich sehe es etwas kritisch, was die ersten beiden Punkte Ihres Antrags anbetrifft, ob wir uns wirklich so viel Statistik noch leisten sollten, wo es doch darum geht, dass auch die Schulämter, dass auch die Schulen, die wir ja entlasten wollen, dass die tatsächlich umsetzen sollen, dass die Zeit haben für etwas und uns nicht mit noch mehr Zahlen füttern dürfen.

Viel wurde bereits getan, um die Situation der Abdeckung mit Lehrkräften für den Schuldienst tatsächlich zu verbessern. In Thüringen wird mittlerweile ganzjährig in den Schuldienst eingestellt, das gab es früher nicht. Ich will auch betonen: Seitdem Minister Holter sein Amt ausübt, ist unfassbar viel bewegt worden. Ja, es ist in der Politik so, das wissen wir nicht erst seit Max Weber: Politik ist das Bohren der besonders dicken Bretter, beharrlich und mit Augenmaß. Das wissen Sie auch, Herr Höcke.

 

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD)

 

Ich habe Sie nicht gehört.

 

(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Deshalb haben wir den höchsten Unterrichtsausfall in Thüringen! …)

 

Na ja, die Realität – jetzt können Sie mir bitte zuhören. Ich habe Ihnen zugehört, danke – ist leider die, dass uns in den Schulen aufgrund von Fehlentscheidungen – ich sage jetzt nur mal die Verbeamtung und das entsprechende Urteil – in den 2000er-Jahren eine komplette Lehrergeneration fehlt. Diese Lehrerinnen und Lehrer sind insbesondere in den alten Bundesländern eingestellt worden. Da sie sich dort haben verbeamten lassen, können die auch nicht einfach so wieder zurückkommen – selbst, wenn sie es wollen. Sie können ihr Beamtenverhältnis dort beenden und ein neues bei uns beginnen, ansonsten sind wir im Ländertauschverfahren. So viel zur Realität. Das muss hier auch mal gesagt werden. Uns fehlt ein kompletter Jahrgang.

 

Was haben wir? Wir haben die Jungen. Das haben wir schon so oft diskutiert, deswegen, ja, wir haben Unterrichtsausfall. Darum geht es auch gerade. Die jüngeren Lehrerinnen und Lehrer sind gerade in Familiengründung, bekommen Kinder, machen Elternzeit, und die älteren sehen, dass sie die Aufgaben noch schaffen, aber die Leistungsträger in jedem System, in jedem Betrieb etc., die 30- bis 55-Jährigen sind kaum da.

 

Es wurde sehr viel getan, unter anderem eine Lehrergewinnungskampagne, die wir gestartet haben, die auch wirkt, die auch im Hintergrund eine Systematik angesetzt hat, wie wir nicht nur Lehrer ansprechen, sondern Lehrerinnen und Lehrer tatsächlich auch im System führen. Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger stellen auch in Thüringen einen wachsenden Anteil an den Neueinstellungen. Angesichts des Defizits zwischen den Zahlen grundständiger Lehramtsabsolventen an den Unis, die auch in den nächsten Jahren nicht korrigiert werden können – ich habe es ja eingangs gesagt –, und am Bedarf an Lehrkräften lässt sich jetzt schon sagen, dass dem Seiteneinstieg eine wachsende Bedeutung zukommt. Das Ministerium hat Voraussetzungen geschaffen, auch in Thüringen deutlich mehr Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger zu gewinnen. Es gibt die Webseite „Erste Reihe Thüringen“, es gibt Informationsmaterial und technische Beratungsmöglichkeiten für die Interessentinnen und Interessenten. Anders als andere Länder legt Thüringen von Anfang an Wert auf eine methodisch-didaktische Grundqualifizierung. Und, ja, Kollege Tischner, da sind wir ja beieinander, das steht bei uns im Antrag auch eins zu eins so. Die ersten drei Monate, bevor ein Seiteneinsteiger oder eine Seiteneinsteigerin vor der Klasse steht, sollten genutzt werden ...

 

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Aber ihr regiert doch! Ihr stellt doch den Minister!)

 

Wie Sie wissen, wenn wir einen Antrag einbringen, ist der mit dem Ministerium abgestimmt. Der Wille ist da.

 

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Aber dann soll er es doch machen! Wir haben doch keine Zeit!)

 

Wenn du darauf verweist, Christian, dass wir Zeit verlieren, dann lass uns diese Anträge schnell beraten und lass uns das Ministerium und die Schulämter unterstützen, um tatsächlich dort die Voraussetzungen zu schaffen. Ich sage mal so, auch eine Finanzministerin braucht da das Signal aus dem Plenum, was wir sagen, was richtig ist: drei Monate Qualifizierung im Vorfeld.

 

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: …)

 

Es gilt immer noch das Ressortprinzip in der Landesregierung.

 

(Zwischenruf aus dem Hause)

 

Danke, Bodo.

 

(Unruhe CDU)

 

Vizepräsidentin Marx:

 

Wir haben hier eine Debatte mit sehr langer Redezeit. Man kann sich immer jederzeit dann wieder zu Wort melden vom Platz aus und so ganz geordnet von hier vorn durch das Mikrofon sprechen. Darauf möchte ich nur mal vorsorglich hinweisen.

 

Abgeordneter Wolf, DIE LINKE:

 

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Anderes wird und muss noch passieren. So sind wir etwa der Meinung, dass nach unseren Erfahrungen die Schulämter zukünftig für das Auffinden berufsbegleitender Lösungen, für das Wegräumen qualifikationsbezogener Einstellungshemmnisse im Einzelfall noch effektiver werden müssen. Auch wir hören das natürlich von denjenigen, die lange nichts von den Schulämtern hören, obwohl sie dringend gebraucht werden. Aber es muss eben auch mal die Möglichkeit geprüft werden, Vorverträge abzuschließen.

 

Es muss uns gelingen, über berufsbegleitende Qualifizierung allen Interessentinnen und Interessenten, die die Motivation und die prinzipielle Eignung mitbringen, eine unbefristete Tätigkeit im Thüringer Bildungswesen an den Schulen zu vermitteln. Wir brauchen passende Angebote unserer Schulbehörden und der Universitäten, noch bestehende qualitative Defizite in geeigneter Art und Weise abzubauen.

 

Der Antrag der CDU – mal kurz zusammengefasst – enthält viele wichtige Bereiche, die zum guten Teil schon untersetzt sind, worüber wir auch im Ausschuss oder in den Ausschüssen gut diskutieren können, genauso im Übrigen wie unser Antrag in Tagesordnungspunkt 54. Unter anderem schlägt die CDU vor, dass, wie Minister Holter auch schon in der Öffentlichkeit formuliert hat – und die Verhandlungen laufen ja dazu auch schon –, spezielle lehramtsbezogene Masterstudiengänge an den Hochschulen, Fachhochschulen, dualen Hochschulen angeboten werden sollen. Deswegen ist es richtig, dass sich auch der Wissenschaftsausschuss damit beschäftigt.

 

Unter anderem werden Unterstützungsangebote vorgeschlagen, auch gibt es nahezu die Parallelität zu unserem Antrag „Lehrerbildung weiterdenken – Schritte zu einer Reform der zweiten und dritten Phase der Lehrerbildung“, unter anderem auch, dass Mentoren eingesetzt werden etc. pp. All das können und werden wir in den Ausschüssen diskutieren.

Der Antrag der AfD – das ist schon gesagt worden – enthält mir zu viele Allgemeinplätze, zu wenige konkrete Vorschläge. Das wundert mich jetzt auch nicht wirklich. Ich denke, die AfD kann über die Diskussion in den Ausschüssen auch noch einiges dazulernen. Von daher sehen wir keine Notwendigkeit, den Antrag der AfD zu überweisen. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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