Rechtschreibfähigkeit der Thüringer Schüler

RedenTorsten WolfBildung

Zum Antrag der Fraktion der AfD – Drucksache 6/361


Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen – es ist gerade Mittagspause –, auf der Tribüne und natürlich auch im Netz begrüße ich auch alle herzlich! Herr Brandner mit Ihrem Rechtschreibantrag können Sie sicherlich den rechten Flügel Ihrer Fraktion, der offensichtlich – was man der Zeitung entnehmen kann – zutiefst gespalten ist,


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Alles nicht so schlimm, alles nicht so schlimm!)


überzeugen, aber ganz sicher nicht die Pädagoginnen und Pädagogen in Thüringen, ganz sicher nicht die Eltern und ganz sicher nicht die Bildungsinteressierten in Thüringen.


(Unruhe AfD)


Denn das, was Sie wiedergegeben haben, entspricht schlicht und einfach nicht der Realität. Von daher kann man ja schon fast dankbar sein, dass Sie es aufgerufen haben, um Ihnen da ein Stück weit weiterzuhelfen.


Herrn Höcke möchte ich sagen: Die Kernaufgabe der Schulen ist Bildung und Erziehung.


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: In der Reihenfolge, Herr Kollege!)


Ich verweise mal auf den § 2 des Thüringer Schulgesetzes. Dort ist auch noch mal untersetzt, was unter Bildung und Erziehung in Thüringen verstanden wird. Sie kommen aus Hessen, haben da lange Jahre an einem Gymnasium gearbeitet. Dort gibt es sicherlich andere Gesetzmäßigkeiten. Lesen Sie es sich einfach mal durch, es ist klug untersetzt, es hat eine Basis und es geht auch tief. Es ist eben nicht nur die Bildung, sondern es ist ein umfassendes Menschenbild, was wir den Schülern über unsere Schulen vermitteln wollen. Ich denke, darum sollte es auch gehen.


Zur Aussprache steht der Antrag der Fraktion rechts von hier „Rechtschreibfähigkeit der Thüringer Schüler“, welche neben dem Berichtsbegehren ein Ersuchen auf regelmäßige Berichterstattung vorlegt. Begründet wird der Antrag mit einer diffusen Wahrnehmung am – sagen wir es doch offen – Stammtisch oder vielleicht Abendbrottisch, dass Thüringer Schülerinnen und Schüler erhebliche Rechtschreibdefizite in der deutschen Sprache haben.


Mit der Wahrnehmung von Studienergebnissen, welche konstant Thüringer Schülerinnen und Schülern in nationalen und internationalen Vergleichsstudien vordere, wenn nicht sogar erste Plätze ausweisen, hat dies nichts zu tun und blendet diese alle Male aus.


Wir haben in Thüringen eine ausdifferenzierte Schullandschaft, die über die letzten 25 Jahre weiterentwickelt worden ist. Die ist geprägt davon, dass allen Schülerinnen und Schüler mit ihren unterschiedlichen Begabungen, mit ihrer unterschiedlichen Herkunft die beste Schullaufbahn ermöglicht werden soll. Wir haben uns ausdrücklich auch zu diesem strukturierten Schulsystem bekannt, wenn wir auch Schwerpunkte auf das längere gemeinsame Lernen setzen wollen und setzen werden, weil wir es einfach als den besseren Weg der Integration aller Schülerinnen und Schüler ansehen.


Die Ergebnisse der letzten PISA-Erhebung, bei der Thüringer Schülerinnen und Schüler international auf vorderen Plätzen lagen und deutschlandweit auf Platz 2, bei der IGLU-Erhebung von 2011 auf Platz 1, zeigen, dass wir neben modernen Lehrplänen und einer modernen Schulstruktur einen Schatz in den Thüringer Schulen haben. Das sind die Thüringer Lehrerinnen und Lehrer, die sonderpädagogischen Fachkräfte und die Erzieherinnen und Erzieher, überwiegend – und das muss man hier auch einmal betonen – mit DDR-Ausbildung, welche durch ihr Engagement und ihren Willen, sich neuen Methoden, Konzepten und Lehrplänen zu stellen, diese Erfolge sicherstellen und die sie mit Ihrem Antrag unter Generalvertrag der Unfähigkeit stellen.


Ich sage von hier aus den Kolleginnen und Kollegen unseren Dank für die hervorragende Arbeit der letzten 25 Jahre und sage


(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


es auch ganz deutlich: Es erschließt sich mir nicht, dass gute Arbeit an den Schulen keine Wertschätzung erfährt.


Erich Fried sagte einmal: „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.“ Die Thüringer Schulen stehen vor erheblichen Herausforderungen. Ich benenne hier nur einige: Wir haben eine sehr heterogene Schülerschicht, Schüler, die mit ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten im Klassenverbund den Lehrplan durch die Lehrkräfte vermittelt bekommen und die durch eine kluge Binnendifferenzierung – all das steht auch in den Lehrplänen, all das steht auch in der Lehrerdienstordnung zum Beispiel – dort auch mitgenommen werden. Uns ist es wichtig, dass jedes Kind sich willkommen fühlt, unabhängig der individuellen Befähigung, der sozialen Herkunft und des sozialen Hintergrunds. Deswegen ist es unter anderem auch wichtig – und dazu haben wir uns auch klar bekannt –, das Schulsozialarbeiterprogramm fortzuschreiben in Thüringen. Das sichert auch die Kontinuität in der Herausforderung, mit der Heterogenität in den Schulen umzugehen.


Wir haben mit der Umsetzung der inklusiven Schule, mit der Umsetzung des Entwicklungsplans Inklusion, eine ganz eigene Herausforderung. Viele Schulen haben sich in Thüringen auf den Weg gemacht, um allen Schülern ohne Unterscheidung eine Schule bieten zu können. Eine Schule für alle ist das, was wir anstreben.


(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Das ist Unsinn!)


Der Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün bekennt sich da ganz eindeutig, dort auch die Qualitätsaspekte in den Blick zu nehmen und dort über die Qualität auch die Inklusion zu garantieren. Ich weiß nicht, ob ich gestern allein die Zahlen nur gehört habe –


(Unruhe AfD)


(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Eine Parteischule für alle!)


ich habe gestern mitgenommen, dass in den Thüringer Schulen im März 2015 allein in den allgemeinbildenden Schulen 671 Langzeiterkrankte sind. Wir haben derzeit den Höchststand der passiven Altersteilzeit erreicht. Das sind etwa 1.200 Kolleginnen und Kollegen. Um es einmal anders zu sagen: Uns fehlen zur Erfüllung des Bildungsauftrags gut 12 Prozent der Beschäftigten.


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Eine Baumschule!)


Ich bin jedes Mal, wenn ich in den Schulen bin, immer wieder erstaunt, aber es trägt mich auch immer wieder weiter, wenn ich sehe, mit welchem Engagement die Schulleitung, die Lehrkräfte, die sonderpädagogischen Fachkräfte sich dieser Aufgabe stellen und unter auch schwierigen Bedingungen beste Ergebnisse erzielen. Ich denke, da haben Sie unsere Unterstützung verdient und haben vor allen Dingen nicht verdient, dass wir sie mit zusätzlicher Bürokratie belasten.


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Das machen Sie doch!)


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


(Unruhe AfD)


Wenn ich Ihren Antrag, Herr Höcke, richtig gelesen habe in Punkt 2, dann soll das ja gerade Grundlage sein, dass Sie sich wünschen, dass eine jährliche Erhebung der Kompetenz im Bereich Orthografie stattfindet. Sie müssten auch wissen als Lehrer, dass das tief in das Schulleben eingreift, tief in den Ablauf eingreift


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Nein! Überhaupt nicht!)


und vor allen Dingen mit was für einem Ziel? Deutschland hat sich nach dem PISA-Schock auf den Weg gemacht – das ist heute schon breit erörtert worden, deswegen brauche ich darauf nicht weiter einzugehen –, um mit nationalen Bildungsstandards auch wirklich Vergleiche herzustellen und daraus lernen zu können. Bildungsföderalismus fußt ja auf der Unterschiedlichkeit, aber auch auf der Möglichkeit, voneinander zu lernen.


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Herr Kollege, wenn Sie heute noch mit PISA argumentieren, sind Sie wirklich von gestern! PISA wird so kritisch gesehen!)


Da sind es genau die Lehrerinnen und Lehrer, auf die es ankommt in den Schulen, das auch zum Besten umzusetzen, all das was heute schon ausgeführt worden ist. Es ist auch schon gesagt worden, wie hoch die Fort- und Weiterbildungsbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen ist. Es ist auch bekannt, dass zwei Drittel der Fort- und Weiterbildung der Thüringer Lehrerinnen und Lehrer in ihrer freien Zeit, in den Ferien vor allen Dingen oder auch am Wochenende, am Nachmittag etc. stattfindet. Darin steckt viel Engagement. Allein das ThILLM hat von 2010 bis 2013 in diesem Bereich, den Sie angesprochen haben, circa 200 Weiterbildungen angeboten, die auch rege wahrgenommen worden sind. Das heißt, die Schulen, die Lehrkräfte haben sich auf den Weg gemacht und sie verdienen unsere Unterstützung und verdienen nicht, dass wir sie mit noch mehr Bürokratie belasten. Deswegen – das sage ich von hier aus – werden wir Ihren Antrag nicht mittragen, auch weil wir ganz prinzipielle Bedenken haben, aber gerade deswegen, um die Belastung nicht noch hochzufahren. Wir sind natürlich, das ist auch schon gesagt worden, auch immer bereit, die Ergebnisse der Erhebungen, die regelmäßig auf nationaler Ebene laufen, in unser Handeln einfließen zu lassen, um das Thüringer Schulsystem, wo es gegeben ist, noch zu verbessern.


Den Thüringer Lehrerinnen und Lehrern und allen Schülern wünsche ich von hier aus schöne Osterferien. Ich denke, alle haben es verdient, nicht nur wir hier im Plenum,


(Beifall SPD)


sich zu erholen und dann auch wieder gestärkt in den Dienst, in die Schule zu starten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.



Vizepräsidentin Jung:


Herr Abgeordneter Wolf, es gibt eine Anfrage.



Abgeordneter Kießling, AfD:


Herr Abgeordneter Wolf, Sie haben richtig gesagt, der Krankenstand bei den Lehrern steigt. Sie hatten vorhin auch gerade ausgeführt, dass Sie eine Schule für alle haben wollen. Jetzt muss ich mal fragen – viele Sonderschullehrer, die ich auch betreue, berichten mir von einem Druck, der ausgeübt wird, weil die überall herumgeschickt werden. Sie hatten gerade selber ausgeführt, dass die Schüler unterschiedliche Lerntempos haben. Jetzt erklären Sie doch bitte mal, wie das zusammenpasst: Auf der einen Seite werden Förderschulen aufgelöst, die Lehrer werden in der Gegend herumgeschickt, sie müssen überall unterstützen, fördern die Schüler, damit das Lerntempo irgendwo noch erreicht werden kann. Wie ist das zu vereinbaren? Der hohe Krankenstand, eine Schule für alle, mehr Druck wird aufgebaut – also ich sehe da irgendwo Widerspruch in Ihrem Reden.



Abgeordneter Wolf, DIE LINKE:


Nicht umsonst habe ich Erich Fried auch benannt. Wer eben will, dass sich die Welt nicht verändert, der wird genau das erreichen. Ich sage Ihnen erstens, wir haben Förderschullehrer. Das ist ein eigenes Amt. Zweitens, ja, mit der Umsetzung einer inklusiven Schule ergeben sich andere Arbeitszusammenhänge, auch eine andere Schule insgesamt, auch eine andere Schulkultur, die Notwendigkeit einer anderen Schulkultur, Schulen haben sich dort auf den Weg gemacht. Die hohen Krankenstände auf die Umsetzung der Inklusion zurückzuführen, halte ich für völlig verkehrt. Wir haben einen erheblich hohen Altersdurchschnitt an den Thüringer Schulen. Das wissen wir auch alle und deswegen ist es wichtig – ich habe das CDU-Programm gelesen, auch der CDU ist es ja wichtig –, dass wir wesentlich mehr im Bereich Lehrergesundheit investieren. Es bleibt aber gar nicht aus, dass wir, wenn wir Förderpädagogen in den gemeinsamen Unterricht geben, dass diese Förderpädagogen nicht unbedingt mit ihrer ganzen Stelle Teil der Schule sind, sondern möglicherweise aufgrund der Förderspezifik der Kinder auch an unterschiedlichen Schulen tätig sind. Dadurch gibt es möglicherweise zwei Dienstorte. Da ist es auch an den Schulämtern und vor allem an den Förderzentren, das so klug zu steuern, dass wir nicht die negativen Effekte auf die Lehrergesundheit haben, denn es ist richtig: Abordnungen und Teilabordnungen sind nicht unbedingt förderlich für das Schulklima …


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Das ist durch die Dauerrevolution im Bildungsbetrieb! Das ist der beste Beitrag für gesunde Lehrer!)


Ich versuche es Ihnen doch gerade zu erklären. Sie sind aus Hessen. Sie haben über die letzten 20 Jahre gewisse Entwicklungen in Thüringen nicht mitgemacht.


(Beifall DIE LINKE)


Nun kommen Sie doch erst mal hier an und dann können wir uns auch weiter unterhalten.


(Unruhe AfD)


Ja, es ist richtig, wir stehen vor Herausforderungen. Die letzte Landesregierung mit Christoph Matschie hat ein Personalentwicklungskonzept auf den Weg gebracht. Dort ist Lehrergesundheit mit enthalten. Dort haben sich auch die Personalräte mit eingebracht etc. Wir werden – das haben wir in unserem Koalitionsvertrag vereinbart – jetzt die Umsetzung angehen, dort, wo es richtig und sinnvoll ist die auch weiterentwickeln. Dann haben wir beste Bedingungen im Personalbereich. Das ist aber ein Prozess, der nie abgeschlossen sein wird.


(Beifall DIE LINKE)


Gut, wenn es sonst nichts weiter gibt. Vielen Dank.


Dateien