Weitere Stärkung und Entwicklung der pädagogischen Arbeit an den Thüringer Regel- und Gemeinschafts- und Gesamtschulen 2/2

Torsten Wolf

Zum Antrag der Fraktionen DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 7/938

 

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus den demokratischen Fraktionen, wenn man lange genug dabei ist, denkt man, man hat schon alles erlebt, man hat schon jeden Höhepunkt und jeden Tiefpunkt in der Debattenkultur erlebt. Aber das, was uns Herr Jankowski vorhin abgeliefert hat, würde ich mal als neuen Tiefpunkt bezeichnen. Es ist hier eine Diskussion geführt worden anhand eines Antrags, infolge auch eines Antrags der CDU mit unterschiedlichen Nuancen – ich beziehe mich jetzt mal auf alle fünf Rednerinnen und Redner, denen es aber vor allen Dingen um Eines geht: Wie entwickeln wir unser Schulsystem im Sinne einer guten Bildung für alle Kinder, für alle Schülerinnen und Schüler weiter. Das, was vonseiten dieser Fraktion abgeliefert worden ist – und ich sage das in tiefem Bedauern für dieses Haus – war menschenverachtend und rassistisch. Es war nicht dem entsprechend, wie wir hier miteinander umgehen wollen.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Ich will auch ein Beispiel liefern: Wenn von dem Redner dieser Fraktion unterstellt wird, dass Menschen mit Migrationshintergrund kein Interesse hätten, dass ihre Kinder Deutsch lernen, um im Schulsystem, in den Schulen tatsächlich Bildung genießen zu können: Was denken Sie denn eigentlich, warum viele hierhergekommen sind? Weil viele gar keine Möglichkeit hatten, ihre Kinder in Flüchtlingslagern tatsächlich Bildung zuteilwerden zu lassen. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit, was Sie hier abgeliefert haben.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Schämen Sie sich!

 

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, was haben Regelschulen, Gemeinschaftsschulen, Gesamtschulen in Thüringen gemeinsam? Sie stehen vor besonderen pädagogischen Herausforderungen, vor allem in der Sekundarstufe I, also den Jahrgangsstufen 5 bis 10. Diese gestalten den Übergang von der Primarstufe in die vierte Klasse zur Sekundarstufe I, natürlich auch die Gymnasien, und geben Orientierung auf die fünfte Klasse, in der alle Schüler/-innen gemeinsam weiterlernen. Es sind nicht alle Kinder dann dabei, denn ein Teil wechselt ab der Jahrgangsstufe 5 in das Gymnasium. Hier kommt es zu einer Trennung. Dabei gehen die wenigsten Kinder mit Förderbedarfen in einer sonderpädagogischen Fachrichtung oder mit DaZ-Förderbedarf an ein Gymnasium.

 

Die Herausforderungen der individuellen Förderung des differenzierten Unterrichts und der Förderung von Kindern mit unterschiedlichen Bedarfen liegen bei den Regel-, Gemeinschafts- und Gesamtschulen – überwiegend. Denn 75 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund besuchen ab der Klassenstufe 5 eine der zwei Schularten im allgemeinbildenden Bereich. Dabei leisten die Lehrerinnen und Lehrer an diesen Schulen eine wichtige Aufgabe. Ich sage ihnen an dieser Stelle hierfür meinen herzlichen Dank.

Die gesellschaftliche Anerkennung Ihrer Arbeit ist uns wichtig, doch Klatschen allein reicht hier nicht. Deshalb haben wir als Koalition in zwei Schritten das Gehalt von Regelschullehrkräften und damit in der Sek I an das der Gymnasiallehrer in der letzten Legislatur angepasst, ab 01.01. dieses Jahres voll wirksam. Seit diesem Jahr erhalten sowohl die Tarifbeschäftigten die gleiche Entgeltgruppe wie auch die Beamten, die in der Besoldungsgruppe A13/E13 entlohnt werden. Bei ihrer pädagogischen Arbeit haben wir ihnen mit dem neuen Schulgesetz in der letzten Legislatur, welches Wirkung ab 01.08. dieses Jahres entfaltet, weitere Instrumente an die Hand gegeben, um den gestiegenen Herausforderungen gerecht werden zu können. So sollen Schulkooperationen und das jahrgangsübergreifende Arbeiten ermöglicht und auch an kleinen Schulen, vor allem im ländlichen Raum weiterhin individuell gefördert werden und es soll differenziert unterrichtet werden. Es geht darum, das Angebot von verschiedenen Anforderungsebenen aufrechtzuerhalten.

 

Auch die Bildung einer Praxisklasse oder von integrierten Praxiskursen in den Klassen 7 und 8 soll ermöglicht werden. Am Ende der Sekundarstufe I muss es die Förderung der individuellen Abschlussphase geben – zumindest das Angebot.

 

Mit der Stärkung der beruflichen und arbeitsweltlichen Orientierung wollen wir ein starkes Zeichen setzen. Für all das brauchen wir aber auch Fachlehrer. Durch Schulkooperationen soll hier Verlässlichkeit entstehen, sowohl für die Kolleginnen/Kollegen als auch für die Schüler/-innen und die kooperierenden Schulen. Viele Schulträger machen sich jetzt auf den Weg, in ihrer Schulnetzplanung genau das abzusichern. Dabei birgt Digitalisierung, zunehmende Heterogenität in der Gesellschaft und auch bei der Schüler/-innenschaft, aber auch eine sich immer weiter ausdifferenzierende Arbeitsweise zusätzliche gesundheitliche Gefahren. Wir wollen sie als Landtag, auch als rot-rot-grüne Landesregierung weiterhin unterstützen und weitere Maßnahmen ergreifen. Dabei wollen wir Schulentwicklungsprozesse begleiten, allem voran die Berufsorientierungsarbeit, die aus den ESF-Mitteln mitfinanziert ist. Wie wir weiter vorankommen bei der Verbesserung der Beschulung von zugewanderten und geflüchteten Kindern und ob unser Maßnahmenkatalog aus der letzten Legislatur greift, ist uns ein weiteres wichtiges Anliegen in diesem Antrag.

 

Uns beschäftigt weiterhin der Stundenausfall. Wo stehen wir und welche spezifischen Ursachen lassen sich feststellen? Zu guter Letzt wagen wir den Blick in die Lehrer/-innen-Bildung. Fragen der Berufsorientierung, -beratung hin zum Lernen für die Sekundarstufe I und damit auch die Orientierung an Alters- und Entwicklungsstufen in der Ausbildung von künftigen Lehrkräften interessiert uns. Auch hier besteht das Potenzial, durch die Anpassung der Inhalte und die Angleichung der Ausbildungsdauer auf zehn Semester der Praxisorientierung, der individuellen Förderung und dem Umgang mit Heterogenität mehr Zeit und Raum zu geben. Doch schon jetzt können und wollen wir wichtige Impulse setzen. Das polytechnische Prinzip ist ein anwendungsorientiertes und verbindendes Element zwischen Theorie und Praxis. Es soll den Fächerkanon von Gesellschafts- und Naturwissenschaften ergänzen und die berufliche und arbeitsweltliche Orientierung stärken, aber auch den späteren Zugang in die Berufsausbildung oder das Studium erleichtern. Die Schüler sollen als Teil der Allgemeinbildung vielseitige Techniken für verschiedene Lebensperspektiven in privaten, öffentlichen und beruflichen Situationen erleben. Die Entwicklung von polytechnischen Konzepten ist uns wichtig. Sie ermöglicht es, inhaltliche Momente der technischen Kultur in ihrem gesellschaftlichen Kontext zu erfassen. Technisch geprägte Lebenssituationen müssen analysiert und bewertet werden. Schülerinnen und Schüler müssen Fähigkeiten und handwerklich praktische Kenntnisse entwickeln. Viele Schulabgänger bringen das am Anfang einer Ausbildung oder eines Studiums nicht mehr mit. In aufwendigen und quälenden Brücken- und Anpassungskursen wird versucht, diese Defizite auszugleichen. Das muss nicht sein, wenn wir die Praxisorientierung fächerübergreifend wieder in der Schule stärken. Und wer hier meint, das ist ein linkes Lieblingsprojekt, der sollte sich mal Schulentwicklung konkret in Jena ansehen. Dort haben wir seit zwei Jahren eine Werkstattschule, die genau das beinhaltet.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Bereits im Studium müssen Studierende für das Lehramt der Sekundarstufe I gewonnen und so gehalten werden. Um sie bei der Bewältigung der fachlichen Anforderungen zu unterstützen und den Lehramtsbezug dabei zu schärfen, schlagen wir vor, unterstützend, interdisziplinär und perspektivisch phasenübergreifend arbeitende Einrichtungen zu schaffen. Sie sollen zudem den Wandel hin zur stufenbezogenen Ausbildung und die Anpassung der Studieninhalte unterstützend begleiten. Auch in den Studienseminaren wird eine wichtige Arbeit geleistet. Um mehr Lehramtsanwärterinnen und -anwärter ausbilden zu können, brauchen wir genügend Fachleiterinnen und Fachleiter. Dazu braucht es die Wiedereinführung des Amtes – wie Sie wissen, Herr Kollege Tischner – und die entsprechende Besoldung. Nur so können wir genug Nachwuchs für die Ausbildung unseres Lehrernachwuchses gewinnen. Ebenso müssen wir gleichberechtigt an allen Schularten weitere besoldungsrechtliche Möglichkeiten und Anreizsysteme schaffen – durch die Einführung von Funktionsstellen und weiteren Karrierewegen –, denn bisher gibt es diese nur an Gymnasien und Berufsschulen. Jugendliche habe ein Recht auf berufliche Perspektive. Dazu brauchen wir einen erforderlichen Schulabschluss. Um mehr Schulabgängern diesen Abschluss und eine abschließende Ausbildung zu ermöglichen, sollen unter dem Schirm eines neuen Landesprogramms neue Wege der Netzwerkarbeit gegangen werden. Dabei gilt es, die berufliche und arbeitsweltliche Orientierung weiter zu stärken und auszugestalten. Dazu müssen personelle Ressourcen geschaffen und noch besser auf die Bedarfe orientiert werden. Wichtige Teile bilden hierbei die Anbahnung und Durchführung der Kooperation und die Schaffung der Schwerpunktschulen zur Koordinierung und Unterstützung der Instrumente, der individuellen Ausgestaltung und Praxisorientierung. Das Schulbudget soll durch Ergänzung externer Expertisen weitere Professionen zusätzlich bereichern und entlasten. Dabei wollen wir den Schulen die Freiheit geben, ergänzende Angebote zu schaffen.

 

Vizepräsident Prof. Dr.-Ing. Kaufmann:

 

Herr Wolf, kommen Sie bitte zum Abschluss.

 

Abgeordneter Wolf, DIE LINKE:

 

Natürlich, Herr Präsident.

 

Mit diesem Paket möchte Rot-Rot-Grün die Regelschulen, Gemeinschafts- und Gesamtschulen zukunftsfest machen, denn sie liegen uns alle drei am Herzen. Ich bitte Sie daher, diesen Antrag an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport zu überweisen und freue mich auf die Diskussion in diesem Ausschuss. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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